
Alexandros Grigoropoulos | Never Forget!
Aus aktuellen Anlass zum Todestag von Alexandros Grigoropoulos dokumentieren wir einen Artikel von Indymedia welcher am 07.12.2008 veröffentlicht wurde.
Eine Bande an Politikern und Jornalisten schwärmen herum und versuchen sich unsere Bewegung zu nutze zu machen und ihr ihre eigne Rationalität aufzudrängen. Sie sagen, dass wir rebellieren, weil unsere Regierung korrupt ist oder weil wir mehr Geld und mehr Arbeit von ihr bekommen wollen.
Falsch.
Wenn wir Banken zerstören, dann darum, weil wir in ihrem Geld einen Hauptgrund unserer Traurigkeit erkennen. Wenn wir die Schaufenster der Läden zertrümmern, ist es nicht weil das Leben teuer ist, sondern weil uns die Güter selbst am Leben hindern, unabhängig von ihrem Preis.
Wenn wir die polizeilichen Formationen angreifen, dann nicht nur um unseren toten Genossen zu rächen, sondern weil sie zwischen der Welt und der Welt, wie wir sie uns wünschen, immer ein Hindernis sein werden.
Was geschah am 06.12.2008 in Exarchia – Hintergrundinfos
Nach verbalen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Beleidigungen zwischen der Polizei und einer Gruppe Linker im alternativen Viertel Exarchia, zog der 37jährige Polizist Epaminondas Korkoneas nach Zeugenaussagen seine Dienstwaffe und schoss. Dabei wurde ein 15-Jähriger vermutlich durch einen Querschläger tödlich in die Brust getroffen. Die beiden verantwortlichen Polizisten sitzen seitdem in Untersuchungshaft.
Der Tod rief heftige Proteste in ganz Griechenland und Solidaritätsaktionen weltweit hervor. Das Rücktrittsangebot des griechischen Innenminister Prokopis Pavlopoulos und seines Stellvertreters am Sonntag, lehnte Ministerpräsident Konstantinos Karamanlisjedoch ab.
Samstag Abend wurde der 15jährige Alexandros Grigoropoulos im alternativen Stadtteil Exarchia von einem Streifenpolizisten erschossen (Video), bereits in der gleichen Nacht kam es zu heftigen Protesten in ganz Griechenland: Ein Einkaufszentrum in Athen brannte, eine Polizeistation in Athen wurde mit Molotowcocktails angegriffen und auch auf Kreta kam es zu Protestaktionen.
Griechischen Medienberichten zufolge, hatte die Polizei am frühen Montagabend die Lage im Zentrum von Athen nicht mehr unter ihrer Kontrolle, mehrere tausend Demonstranten hatten bereits die dritten Nacht in Folge dutzende Geschäfte geplündert und angezündet, der Sachschaden liegt unbestätigten Angabe zufolge bei mehr als 50 Millionen Euro. Nach einem Treffen mit Staatspräsident Karolos Papoulias, äußerte sich Ministerpräsident Karamanlis besorgt über die aktuelle Lage. Er kündigte ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte an. Ein Aufruf des Sozialistenführers George Papandreou, bei der Beisetzung (Video) des Jungen friedlich zu bleiben, blieb ungehört. Nur wenige Minuten nachdem mehrere tausend Menschen auf dem Friedhof von Palaio Faliro in einer Vorstadt von Athen in einer bewegenden Zeremonie Abschied von Alexis genommen hatten, kam es zu Auseinandersetzungen von 150 Schülerinnen und Schülern mit der Polizei. Auch in anderen griechischen Städten kam es am Dienstag wieder zu Protesten. Nach einer Demonstrationen von StudentInnen und SchülerInnen besetzten mehrere Hundert von ihnen in Patras das Hauptquartier der Polizei und das Stadtzentrum. Am späten Abend versuchten sowohl Polizeieinheiten als auch Neonazis die BesetzerInnen anzugreifen. (Video)
Inzwischen fordert die Opposition die mit einer Stimme Mehrheit seit 2004 regierende konservative Partei Nea Dimokratia zum Rücktritt auf. Damit würde der Weg für Neuwahlen frei sein.
Auf einer von den Gewerkschaften angemeldeten Kundgebung anlässlich des Generalstreiks versammelten sich am Mittwoch mehr als 10.000 Menschen. Der internationale Flughafen von Athen hat seinen Betrieb eingestellt aber auch Schulen, Universitäten und Krankenhäuser blieben geschlossen. Nach einer Großkundgebung zogen die TeilnehmerInnen zum Parlament, um auf ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen und stärkerer staatlicher Unterstützung für einkommensschwache Familien aufmerksam zu machen.
In der Nacht auf Donnerstag kam es wie hier in Barcelona europaweit zu Solidaritätsbekundungen für die Proteste, während sich die Lage in Griechenland auch am fünften Tag in Folge nicht verändert hat. Am Donnerstag wurden ingesamt 25 Polizeistationen im gesamten Land angegriffen. Im Laufe des Tages gingen in Athen, Patras und Thessaloniki wieder mehrere tausend Menschen auf die Straßen. In Komotini im Nordosten des Landes belagerten Riotcops und bewaffnete Neonazis die besetzte Universität.
Auch am siebten Tag in Folge setzten sich die Auseinandersetzungen zwischen den DemonstrantInnen und der Polizei fort, während es auf Seiten der Polizei zu Engpässen beim Tränengas kam.
Nach einer Mahnwache vor dem Parlament mit mehr als 1.000 Menschen griffen Polizeieinheiten die friedlichen DemonstrantInnen an und versuchten sie vom Syntagma-Platz im Zentrum Athens abzudrängen.
Unbestätigten Angaben zur folge wurden mehr als 200 Personen festgenommenen und 70 seit Beginn der Proteste am 6. Dezember verletzt. In einer Umfrage der Tageszeitung „Kathimerini“ knapp eine Woche nach den tödlichen Schüssen bezeichnete die Mehrheit der befragten Griechen die Proteste als „Volksaufstand“. Anderen Umfragen nach zu urteilen, würden die Konservativen bei Neuwahlen inzwischen 5%-Punkte hinter den oppositionellen Sozialisten liegen.
Nach Schüssen auf einen 21-jährigen Bereitschaftspolizisten vor einem Polizeiposten in Athen am 5. Januar wurden mehrere dutzend Menschen nach Razzien festgenommen.
Hintergrund
Nachdem vor zwei Wochen ein Hungerstreik in griechischen Gefängnissen beendet worden war und die Gefangenen und die Solidaritätsbewegung einen Erfolg verbuchen konnten, da von der Regierung die Entlassung tausender Gefangener in Aussicht gestellt wurde, gibt es im Land seid gestern Abend große Unruhen.
Ein Land in Bewegung
Griechenland ist in Bewegung möchte man meinen, wenn man die ständigen Ereignisse in der öffentlichen und der alternativen Presse liest. 5000 Gefangene haben bis vor zwei Wochen zunächst mit der Verweigerung des Gefängnisessens und danach mit dem Hungerstreik gegen das Elend der Gefängnisse und die Gleichgültigkeit des Justizministeriums gekämpft. (http://de.indymedia.org/2008/11/233851.shtml). Einige hatten dabei ihren eigenen Mund zugenäht. Unter anderem wurde gegen die Haftbedingungen protestiert, die medizinische Versorgung, welche kaum vorhanden ist und zudem sitzt fast ein Drittel der Gefangenen sogar nur in Untersuchungshaft, die in Griechenland bis zu 18 Monate dauern kann. Immer wieder gibt es Proteste gegen die Regierung, im Oktober fand der letzte Generalstreik statt. Ausländer kämpfen offensiv für ihre Rechte (http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7769071.stm), zuletzt halfen ihnen beider Verteidigung auch Autonome, als im Agios Panteleimon Rechtsradikale wahllos Migranten angriffen. Mehrere hundert Autonome eilten daraufhin den bedrängten Ausländern zur Hilfe. (http://tagesschau.sf.tv/nachrichten/archiv/2008/11/24/international/strassenschlacht_in_athen)
Ursprünge in der Zeit des Widerstandes gegen die Obristenjunta
Die griechische Autonomenbewegung sieht ihre Ursprünge in der Zeit es Widerstandes gegen die Obristenjunta (1967-1974). Der Stadtteil Exarchia im Zentrum Athens ist sehr linksgeprägt, ausgerechnet hier ist gestern ein 15-Jähriger durch die Schüsse eines Polizisten zu Tode gekommen. Kurz nach dem Vorfall gingen viele Menschen auf die Straße, bewarfen die Polizei mit Steinen sowie Brandsätzen und zündeten Müllcontainer und Autos an. Die zum Großteil maskierten Demonstranten protestierten gegen die nach ihrer Meinung willkürlichen Polizeieinsätze und die konservative Regierung von Ministerpräsident Kostas Karamanlis. Schnell wurden es immer mehr Menschen, in den späten Abendstunden wurde unter anderem ein ganzes dreistöckiges Einkaufszentrum in Monastiraki total verwüstet. Die Bilanz der ersten Nacht in Athen lautet mindestens 60 zerstörte Geschäfte, 16 Banken und mindestens 40 Autos. Zeugen sagten, das die Zerstörung nicht wahllos gewesen sei. Während Bekleidungsgeschäfte und Banken zerstört wurden, wurde die große Anzahl der kleinen Imbissgeschäfte und Kneipen alle intakt gelassen.
Verschiedene Versionen um den Tod des Jugendlichen
Doch woher kommt dieser große Hass auf die Staatsgewalt. Im Vorfall um den getöteten Jugendlichen, welcher laut den Medien der Sohn eines bekannten Athener Schmuckhändlers gewesen sein soll gibt es unterschiedliche Versionen, welche durch verschiedene Presseorgane verbreitet wurden und deren Verschiedenheit anders nicht sein könnte. Nach Polizeiangaben hatte der getötete Jugendliche mit etwa dreißig anderen Autonomen in Exarchia einen Polizeiwagen mit Steinen beworfen. Ein Polizist sei aus dem Auto ausgestiegen, um die Jugendlichen aufzuhalten, und habe den 15-Jährigen mit drei Kugeln tödlich in der Brust getroffen. Der 37 Jahre alter Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben haben soll, bekräftigte, er habe lediglich drei Warnschüsse abgefeuert. Einer davon habe den Jugendlichen als Querschläger getroffen. Zuvor habe eine Gruppe Autonomer seinen Streifenwagen, in dem er zusammen mit einem Kollegen gesessen habe, mit Steinen und anderen Wurfgeschossen angegriffen. Die beiden Beamten hätten versucht, die Randalierer festzunehmen, hieß es. Nach Darstellung von Augenzeugen soll es jedoch nur zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Autonomen und der Besatzung des Polizeiwagens gekommen sein. Anschließend habe der Polizist direkt in die Richtung des Jungen geschossen. „Es war kaltblütiger Mord“, meinte ein Augenzeuge gestern Abend im Radio. Andere Zeugenaussagen gibt es auch, die sagten, einer der Polizisten hätte eine Blendgranate gezündet, der andere Polizist daraufhin die tödlichen Schüsse abgegeben.
Innenminister bietet Rücktritt an
Auch die Politik beschäftigte der Vorfall noch gestern Nacht, der Innenminister Prokopis Pavlopoulos drückte sein tiefes Bedauern über den Tod des Jugendlichen aus und machte umgehend ein Rücktrittsangebot. Dies lehnte der Regierungschef Karamanlis ab, sprach aber ebenso der Familie des getöteten sein Beileid aus. Pavlopoulos beauftragte umgehend drei Staatsanwälte mit der Untersuchung der tödlichen Schüsse. Die linke Oppositionspartei Pasok verurteilte den Tod des Jungen und sah die Schuldigen bei den Verantwortlichen in Politik und Polizei. In einer Mitteilung versprach der Innenminister, die Verantwortlichen für den Tod des Jugendlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Griechischen Medienberichten zufolge wurden die beiden an dem Vorfall beteiligten Polizisten zunächst festgenommen und dann zusammen mit dem Chef der Wache in Exarchia vom Dienst suspendiert. Prokopis Pavlopoulos wies jedoch vorschnelle Schuldzuweisungen zurück und erklärte: „Wir warten auf die gerichtsmedizinischen Ergebnisse.“ Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen hieß es.
Unruhen weiten sich auf das ganze Land aus
Während die Justiz ermittelt, gibt es weiteren Proteste auf der Straße, Medien sprechen schon nicht mehr nur von Jugendkrawallen. Auch im nordgriechischen Thessaloniki wurden fünf Banken beschädigt, ein Polizeirevier angegriffen und eine Straße blockiert. 2000 Demonstranten versammelten sich in der Innenstadt von Thessaloniki und zogen zum Sitz des Regionalministeriums. In Patras wurde ein Polizeirevier mit Brandsätzen angegriffen, es gab Ausschreitungen. In Komotini und Ioannina, ebenso wie auf der Mittelmeerinsel Kreta kam es zu Krawallen. In Heraklion entstand an drei Bankfilialen Schaden durch Brandsätze. Polizisten versuchten die Lage unter Kontrolle zu bringen, Tränengas wurde eingesetzt. Es sei die schlimmste Bürgerunruhe in Griechenland seit 25 Jahren schreibt die Presse. In Athen wurde in der Nacht ein Gebäude der polytechnischen Hochschule besetzt, die Fassadenfenster des Rathauses zerstört und auch andere Universitätsgebäude der Hauptstadt wurden okkupiert. Etwa 2000 Menschen gingen in die Polytechnische Fachhochschule, wo der Kampf gegen die Diktatur in den 60er angefangen hatte. Eine entscheidende Schwächung erfuhr dort damals die Junta am 17. November 1973 durch den Aufstand der Studenten, der unter Einsatz von Panzern brutal zusammengeschossen wurde und das Regime innerlich und äußerlich diskreditierte. Die Sicherheitskräfte sperrten das Stadtzentrum von Athen ab und gingen gegen die Protestierenden vor. Autonome und andere Gruppen haben für Sonntagnachmittag weitere Proteste angekündigt, mehrere Aktionen sollen im Laufe der nächsten Tage im Ausland vor den griechischen Botschaften stattfinden.
Solidarität ist eine Waffe, Aufstand ist ein Argument