
Hafenstraße’96 – Rückblick auf die Aktionswoche
Zum 23. Mal jährte sich am 18. Januar 2019 der Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in der Lübecker Hafenstraße. Ein Bündnis aus antirassistischen und antifaschistischen Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen nahm sich auch in diesem Jahr des Gedenkens an und machte auf Lügen, Hetze und politisch motivierte Pannen in der Ermittlungsarbeit der Lübecker Staatsanwaltschaft zum Brandanschlag aufmerksam.
Am Dienstag, dem 15. Januar 2019, besuchten mehr als 100 Menschen den Dokumentarfilm „Tot in Lübeck“ in der Studierendenkneipe „Blauer Engel“.
Zwei Tage später wurde im fast ausverkauften „Kommunalen Kino“ (KoKi) auf der Lübecker Altstadtinsel das dokumentarische Theaterstück „Asyldialoge“ aufgeführt. Das wortgetreue, aus Interviews entstandene Stück erzählt von Begegnungen, die Menschen verändern, und von gemeinsamen Kämpfen in unerwarteten Momenten. Eine dieser Geschichten handelt von einem breiten Bündnis solidarischer Menschen, das bereits 30 Abschiebungen verhindern konnte und somit vielen zum Vorbild wurde. Eine Thematik, die auch bei uns in Lübeck vor allem seit dem Entstehen des Solizentrums auf der Lübecker Wallhalbinsel im Jahr 2015 allgegenwärtig ist.
Am Freitag versammelten sich bei eisigem Wind und Schnee rund 150 Menschen, um am Jahrestag des Brandanschlags in der Hafenstraße den Toten zu gedenken und von Rassismus betroffenen Menschen beizustehen. In Rede- und Musikbeiträgen verschiedener Initiativen wurde der Umstand deutlich, dass trotz zahlreicher Beweise, unzähliger Indizien und mehrerer Geständnisse bis heute keiner der vier tatverdächtigen Grevesmühlener Neonazis für den rassistisch motivierten Mord an zehn Menschen verurteilt wurde.
Unter dem Motto „Rassistischen Verhältnissen entgegentreten“ zog am Samstag, dem 19. Januar 2019, eine Demonstration durch die Lübecker Innenstadt, an der mehr als 200 Menschen teilnahmen.
Die Antifaschistische Koordination Lübeck hielt einen Redebeitrag, welcher nachfolgend dokumentiert wird:
Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen, liebe Antifaschist*innen!
Im November wurde nach einer massiven Drohung die Schulvorführung des Dokumentarfilms „Wildes Herz“ über die linke Band „Feine Sahne Fischfilet“ in Bad Schwartau abgesagt. Durch antifaschistische Recherche konnte eine Zusammenarbeit zwischen der AfD und dem organisierten Neonazi Rene Metz aufgedeckt werden.
Die Vorführung wurde diese Woche im Kommunalen Kino nachgeholt. Weil wir uns nicht einschüchtern lassen! Danke an das Koki!
Wir müssen über die AfD reden.
Der AfD gelang auch hier im letzten Jahr in Fraktionsstärke der Einzug in die Lübecker Bürgerschaft. Dort verbreiten ihre Abgeordneten jetzt ihre Hetze. Die Affäre um Doris von Sayn-Wittgenstein und ihre Verstrickungen zur extrem Rechten zeigt deutlich die Verwobenheit von AfD und der extremen Rechten auf.
Wir müssen über Rassismus reden.
Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem. Diese Gesellschaft hat ein Rassismusproblem. Rassismus gibt es nicht nur bei klassischen Neonazis. Rassismus findet sich ebenso in der Ämter- und Behördenpraxis, der Polizeiarbeit und der Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen und Teilhabe.
Weil eine kranke und von Ausbeutung durchzogene Gesellschaft nicht durch eine angebliche „gemeinsame Kultur“ zusammengehalten wird, sondern die Abwertung „anderer Kulturen“ benötigt. Die eigene Identität wird stabilisiert, indem negative Anteile auf die Projektion des Konstrukts der „Anderen“ abgewälzt werden.
Wir stehen hier gemeinsam gegen die Ursachen und erinnern an die Folgen.
Seit 1960 gab es 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge, 2.173 Brandanschläge, 229 Morde mit rechtsextremen Motiven. 92 rechtsterroristische Gruppen und Einzelpersonen wurden identifiziert. Und das sind nur die Minimalzahlen. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher.
Wir brechen das Schweigen!
Diese Zahlen zeigen deutlich, dass es in Deutschland eine lange, kontinuierliche Geschichte von rechtsterroristischer Gewalt gibt. Diese Gruppen vernetzen sich, lernen voneinander. Sie sind eng angebunden an die extreme Rechte, die Parteienlandschaft und die subkulturelle Szene.
Wir wehren uns gegen rassistische Stimmungsmache und Gewalt!
Der NSU war nicht die erste Neonazi-Terrororganisation und auch nicht die letzte. In den vergangenen Monaten laufen und liefen mehrere Prozesse gegen Zusammenschlüsse wie die „Oldschool Society“ oder die „Gruppe Freital“. Das „Hannibal“-Netzwerk wurde aufgedeckt, in Frankfurt bedrohten Polizist*innen unter dem Namen „NSU 2.0“ Menschen. Ende Dezember gab es einen Brandanschlag auf das linke Kulturzentrum Li(e)berAnders in Kiel. An Silvester fuhr ein Mann gezielt Menschen an, die er in seinem rassistischen Weltbild für Ausländer hielt. Acht Menschen verletzte er, einen davon schwer.
Dazu kommen die immer neuen Waffenfunde bei rechten Strukturen, immer neue gewaltbereite rechte Organisierungsansätze werden gegründet. Erst am vergangenen Mittwoch wurden bei Hausdurchsuchungen in acht Bundesländern, u.a. bei unseren Nachbar*innen in Hamburg, über 100 zum Teil illegale Waffen gefunden. Darunter Wurfsterne, Schwerter und Macheten. Es hatte sich eine Gruppe aus mindestens 40 Nazis gebildet, die sich selbst „Nationalsozialistische Ritter des Ku-Klux-Klans Deutschland“ nennen. Teil dieser Gruppe ist auch Bernd Schnabel, der zu den Unterstützern der „Merkel muss weg“-Demonstrationen zählt.
Während sich die Nazis scheinbar unbehelligt im Untergrund organisieren, sind die Politiker*innen zu sehr damit beschäftigt neue Abschiebelager zu errichten und die Freiheit der Menschen durch die Verschärfung des Asylrechts und neue Integrationsgesetze immer weiter einzuschränken.
Wir fordern die vollständige Aufklärung der staatlichen Verstrickungen!
Der Staat, der über die Exekutive wacht, konnte weder den Anschlag auf die Hafenstraße verhindern, noch die Täter bestrafen. Es bilden sich immer wieder neue rechte Terrorzellen, und wie sich in Frankfurt zeigte, reichen diese bis in die Reihen der Polizei oder, wie beim „Hannibal“-Netzwerk, in die Reihen der Bundeswehr hinein. Bei den Ausschreitungen in Chemnitz hat sich erst vor wenigen Monaten wieder verdeutlicht, dass der Staat und sein Gewaltmonopol uns nicht schützen können.
Es gibt zu viele Beispiele von extrem rechter Unterwanderung in Behörden, von Blindheit der Polizei im Umgang mit rechtem Terror oder der Verschleppung von Prozessen und Verharmlosung rechter Gewalt durch die Justiz.
Wir fordern: Schluss mit der Relativierung und dem Märchen von verwirrten Einzeltäter*innen!
Selbst Einzeltäter*innen radikalisieren sich mit Hilfe anderer. Sei es im Privaten, sei es in Parteien, sei es im Internet.
Wir stehen hier und erkämpfen gemeinsam die Erinnerung zurück.
An das Geschehene. An das, was am besten vergessen werden soll. An das, was unter den Teppich gekehrt werden soll.
Wir sind solidarisch!
- Mit allen Betroffenen und Hinterbliebenen von rechter Gewalt!
- Solidarische Grüße an das Li(e)berAnders in Kiel!
- Wir treten hier und heute und zu jeder Zeit dem rassistischen Terror entgegen! Wir bekämpfen Rassismus in Behörden und Gesellschaft!
- Wir sind heute hier, um die Pogrome von morgen zu verhindern! Doch das alles sind nicht nur Forderungen, sondern auch ein Versprechen. Ein Versprechen an alle Betroffenen und Hinterbliebenen von rechtem Terror. Ein Versprechen, dass wir nicht darauf vertrauen, dass der Schutz von Staat und Bullen ausreicht, uns und andere zu schützen.
- Lasst uns diejenigen zwingen hinzusehen, die von nichts wissen wollen! Lasst und lauter sein als das Schweigen der anderen!
- Wir gedenken nicht nur, wir klagen an! Es ist der Rassismus, der getötet hat und heute noch tötet! Brecht das öffentliche Schweigen! Gegen Rassismus, für grenzenlose Solidarität! Es gibt keinen Platz für Nazis in Lübeck und auch sonst nirgendwo!
Zum Abschluss der Aktionswoche der Hafenstraße’96-Kampagne organisiert der AStA der Universität zu Lübeck eine Aufführung des dokumentarischen Theaterstücks „NSU-Monologe“ am Dienstag, dem 22. Januar 2019, um 19.30 Uhr im Kolosseum.