»Refugees Welcome« – Redebeitrag der iL Lübeck
Wir dokumentieren den Redebeitrag der Interventionistische Linke Lübeck zur »Refugees Welcome«-Demonstration am 17. Januar 2015 in Lübeck
Am 18. Januar 1996 stand ich – gemeinsam mit vielen anderen Menschen, die ihre Anteilnahme und Solidarität zeigen wollten – vor dem ausgebrannten Haus in der Lübecker Hafenstraße 52. Entsetzt und fassungslos über den rassistischen Mord an 10 Menschen, die in der Flüchtlingsunterkunft verbrannt worden waren. Und gleichzeitig unendlich zornig und wütend. Wütend vor allem auf eine staatliche Politik, die Asylbewerber_innen nicht als Menschen, sondern als Kostenfaktor und Belastung gesehen hat, als willkommene Sündenböcke für die sozialen Verwerfungen und die Massenarbeitslosigkeit nach dem Anschluss der DDR. Eine Politik, die die Geflüchteten in überfüllte und oft baufällige Unterkünfte gepfercht hat, und sie so als Anschlagsziel für die neonazistischen Mordbrenner geradezu auf den Präsentierteller gelegt hat.
Nach dem 18. Januar 1996 war uns allen klar, was jetzt geschehen müsste: Auflösung der Heime, Unterbringung der Geflüchteten in normalen Wohnungen, Bleiberecht für die Überlebenden, Verfolgung und Verurteilung der rassistischen Täter und vor allem: Eine Umkehr in der staatlichen Flüchtlingspolitik, die Rücknahme der kurz zuvor erfolgten Verstümmelung und quasi-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Übrigens ein Eingriff in die Verfassung, der 1993 auf dem Höhepunkt der rassistischen Stimmungsmache und Gewaltwelle nur mit den Stimmen der SPD und maßgeblicher Beteiligung des damaligen Vorsitzenden Björn Engholm, auch ein Lübecker, möglich war.
Bei der Unterbringung der Geflüchteten ist – zumindest in Lübeck – in der Folge einiges Positives geschehen. Auch das Bleiberecht der Überlebenden konnte schließlich durch massiven Druck für alle ehemaligen Hausbewohner durchgesetzt werden. Jedenfalls für alle bis auf einen, der bis heute, 19 Jahre später, mit den bundesdeutschen Behörden um seinen Aufenthalt kämpfen muss.
Aber in der Hauptsache, der Behandlung von Geflüchteten, der staatlichen Asylpolitik, die auf Entrechtung und Abschreckung setzt und dabei in Kauf nimmt, rassistische Stimmungen zu schüren, ist eigentlich nichts geschehen. Das hängt auch damit zusammen, was nach dem furchtbaren Anschlag der eigentliche Skandal von Lübeck ist:
Dringend tatverdächtige Neonazis, in der Brandnacht in der Nähe des Tatorts aufgegriffen, mit frischen Brandspuren an den Haaren, wurden wieder laufen gelassen. Stattdessen beschuldigten die Lübecker Polizei und Lübecker Staatsanwaltschaft einen Hausbewohner, einen Geflüchteten, sein eigenes Haus in Brand gesetzt zu haben und sich danach seelenruhig über dem gelegten Feuer wieder ins Bett gelegt zu haben. Diese absurde Beschuldigung führte in zwei Prozessen zu einem klaren Freispruch – aber auch dies nur durch eine engagierte Verteidigung und die unermüdliche Prozessbegleitung durchantirassistische Initiativen.
Aber die Hauptsache war erreicht: In der Öffentlichkeit war der Brand kein rassistischer Anschlag mehr, Konsequenzen mussten nicht gezogen werden, das „deutsche Ansehen im Ausland“ war gerettet. Das Verbrechen gilt seitdem offiziell als unaufgeklärt und die Erinnerung daran spielt auch in Lübeck keine große Rolle mehr.
Heute, 19 Jahre später, stehen wir also wieder oder immer noch auf den Straßen und demonstrieren gegen Rassismus. Vieles ist wie ein Dejá vu. Wie in den 90igern zieht in vielen Orten ein rassistischer Mob durch die Straßen. Wie in den 90igern kochen Parteien darauf ihr politisches Süppchen und schwadronieren davon, dass man die Sorgen der Menschen verstehen müsste. Ausgerechnet der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg hebt im Bundesrat seine Hand für die jüngste Verschärfung des Asylrechts.
Und wie in den 90igern versagen Polizei und Justiz systematisch bei der Aufklärung von rassistischen Verbrechen.
Der Mord an Khaled Idris Bahray in Dresden vor wenigen Tagen, bei dem die Dresden Polizei trotz Blutlache und sichtbaren Stichwunden zunächst alle Spuren verwischte, ein Gewaltverbrechen leugnete und schließlich erst nach öffentlichem Druck 30 Stunden später die Spurensicherung schickte, ist dafür nur das jüngste und besonders krasse Beispiel.
Am schlimmsten aber ist das fortdauernde Verbrechen an den europäischen Außengrenzen, das von so vielen achselzuckend als normal oder nicht zu ändern hingenommen wird. Tausende von Menschen ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer, weil ihnen alle anderen Wege zur Flucht ins vermeintlich sichere Europa verschlossen sind. Schätzungen gehen von 23.000 Toten seit dem Jahr 2000 aus. Eine wirklich massenmörderische Grenze, die Europa da um sich gezogen hat.
In dieser Situation hilft es wenig, wenn wir uns heute auf diesem Platz versichern, dass wir für Toleranz und Mitmenschlichkeit, gegen Rassismus und für eine Willkommenskultur sind.
Wir brauchen vielmehr den Mut den Schleier der herrschenden Doppelmoral zu zerreißen, und den Konflikt einzugehen nicht nur mit den Nazis und offenen Rassisten, sondern auch mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus, der deshalb so tief verwurzelt ist, weil er auf den kapitalistischen Prinzipien von Konkurrenz und Spaltung basiert.
Es geht also nicht ums Reden, sondern ums Handeln. Darum, sich den PEGIDAs tatsächlich und körperlich mit Blockaden in den Weg zu stellen, wo immer sie marschieren wollen. Darum, Geflüchteten zuzuhören und bei ihrem Kampf mit den Ausländerbehörden und dem alltäglichen Rassismus zu unterstützen. Sie, wenn nötig auch aufzunehmen und zu verstecken, um sie vor Abschiebung zu schützen. Es geht darum, die Parteien nicht mit Sonntagsreden davon kommen zu lassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass die Einreise nach Europa mit Fähren und Flugzeugen möglich ist, anstatt mit Schlauchbooten über das offene Meer. Es geht darum, von der SPD in Hamburg zu verlangen, den Kriegsflüchtlingen von Lampedusa in Hamburg einen sicheren Aufenthalt nach §23 zu geben. Es geht darum, dass mit der rassistischen und mörderischen Flüchtlingspolitik in Deutschland und in Europa gebrochen werden muss, dass sie radikal umgekehrt werden muss.
Dafür müssen wir uns einsetzen und kämpfen – und wenn es noch einmal 19 Jahre dauert.